Wednesday, December 23, 2015

Interview mit Thomas Gerwin zum Klangkunstfest 2015 - 2. Teil

Der Klangkunstbegriff verengt sich ja hier und dort. Ich habe persönlich den Eindruck, dass es mal einen historischen Moment gab, in dem alles sehr offen gefasst war und auch das ganze Thema der Interdisziplinarität eben auch groß geschrieben wurde, und nun scheint der Trend eher wieder in Richtung Spezialisierung zu gehen, hin zu Teilbereichen der kulturellen Praxis die an ihren jeweiligen Definitionen von etwas wie Klangkunst festhalten und sich stark abgrenzen von anderen Konzepten, wie auch von offeneren Herangehensweisen.
Ist das mit den Formen und Erscheinungen vielleicht auch ein wenig in diese Richtung zu verstehen? Also, in Bezug auf den Gattungsbegriff 'Klangkunst' den Du ja mit Entschlossenheit hochhältst, und dabei sehr offen und ohne strikte Trennung zu Konzepten wie 'komponierte Musik', 'improvisierte Musik', 'Performance' etc. Das alles fließt in Deinen Veranstaltungen ganz selbstverständlch zusammen. Manch einer würde schon protestieren, dass es keine Klangkunst-Veranstaltung mehr sei, wenn der Anteil der konzertanten Aufführungen so und so hoch ist im Verhältnis zu installativen Arbeiten.
Siehst Du das auch so, dass in den letzten Jahren vermehrt Grenzen gezogen werden (natürlich nicht überall!) und nimmst Du darauf auch Bezug, in Programm und Programmatik, und in Deiner ganz eigenen Definition von Klangkunst?

Die Frage der Terminologie ist tatsächlich nicht zu vernachlässigen, können wir doch seit Wittgenstein Sachverhalte auch untersuchen, indem wir untersuchen, wie man sinnvoll darüber sprechen kann. Als ich 1988 in Tübingen mein erstes Festival konzipierte, wurde der Begriff “Klangkunst” nur ab und zu in eingeweihten Kreisen verwendet. Er war zu Beginn ganz offen, interdisziplinär, experimentell und beinhaltete alle möglichen Praktiken wie Ortsbezogenheit, Interaktivität wie auch die Inszenierung von Klang im Raum. Die Offenheit in jegliche Richtung gehörte nach meinem Verständnis essentiell dazu, war gerade das Spannende und Befreiende in der Öffnung des Wirkungskreises des Klanges in alle Richtungen. Es gab ganz verschiedene Herangehensweisen und unterschiedlichste Möglichkeiten, mit dieser Freiheit umzugehen, sie in gültige Formen oder auch Formlosigkeiten zu bringen. Dieses Verständnis das Begriffs Klangkunst schwingt tatsächlich bis heute in meiner künstlerischen und auch kuratorischen Arbeit mit. Deshalb ist das wichtigste bei den Klangkunstfesten immer das Thema. Dem ordnet sich alles unter bzw. zu, das bestimmt auch über die Arten der präsentierten eben sehr oftmals auch direkt initiierten Werke eines Festivals. Mein Ziel ist dabei, möglichst unterschiedliche Facetten, Aspekte eines Themas  anzusprechen, künstlerisch zu diskutieren und zu untersuchen. Deshalb wird auch von allen Beteiligten erwartet, daß sie sich in irgendeiner Weise zum Thema verhalten. Immanenter Bestandteil des Klangkunstfests ist der Dialog der KünstlerInnen untereinander und mit dem Publikum (das ja selbst viele KünstlerInnen enthält). In den abschliessenden Symposien hat die offene Herangehensweise übrigens praktisch nie zu Irritation oder Dissens geführt.
Trotzdem ist es natürlich wahr, daß der Begriff Klangkunst im allgemeinen Sprachgebrauch immer enger wird, sich immer weiter in Richtung bildender Kunst bewegt, die eben auch Klang als Material enthält. Damit einher geht dann die Fokussierung auf bestimmte Präsentationsformen wie Installation oder Environment. Ich glaube, daß diese Verengung damit zu tun hat, daß Klangkunst mittlerweile gesellschaftsfähig und damit marktfähig geworden ist. Und bei einer Ware ist natürlich die Marke wichtig, die auch dem Kunden klar signalisiert, was er zu erwarten hat, wenn er sie kauft. Vermarktungscoaches raten ja heute KünstlerInnen ganz offen dazu, sich nicht ständig selbst in Frage zu stellen oder neues zu probieren. Im Gegenteil soll eine Marktlücke gesucht, eine markante Marke gebildet werden, damit der kommerzielle Erfolg kommt. Das ist allerdings ganz klar nicht mein Verständnis von Kunst. Die soll, nein die muß ständig alles wagen, soll sich stetig und rastlos weiterentwickeln, ästhetisches Neuland zu erschliessen. Davon gibt es, wenn ich nur z.B. an den ganzen Bereich “multisensorialer” Kunsterfindung denke, noch unabsehbar viel.
Da aber tatsächlich der Begriff im Sprachgebrauch zunehmend enger wird, habe ich in meinem Artikel “Hören multisensorial” in den letzten, gerade erschienenen “positionen” als neuen offenen Begriff “Klingende Kunst” vorgeschlagen. Dieser Terminus soll sich dann auf jegliche Art von Kunst beziehen, die in irgendeiner Weise Klang nutzt, um sich auszudrücken. Der Name “Internationales Klangkunstfest Berlin” ist mittlerweile ganz gut eingeführt und sollte so bleiben, aber vielleicht sollte ich noch einen Untertitel anfügen z.B. “Festival aktueller klingender Kunst” – um deutlich zu machen, daß es hier um einen möglichst offenen Umgang mit klingender Kunst jeglicher Art geht.


 
















Abb. 
BIT 
(I. Reulecke, 
T. Gerwin, 
B. Pudelko)